Kinderarmut – ein Thema für die Soziale Arbeit?

kinderarmutDer 5. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung (ARB) – makabrer Name – macht deutlich, dass sich die Anzahl der Menschen mit Armut(sgefährdung) trotz florierender Wirtschaft und niedriger Arbeitslosenquote kaum verändert. Dabei schlägt der Anteil der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren mit alarmierenden 20,3 % oder 2,7 Millionen zu Buche. Erschreckend, dass Armut im reichen Deutschland überhaupt eine solche Rolle spielt.

Dabei resultiert Kinderarmut nicht nur aus der Arbeitslosigkeit von Eltern, Alleinerziehenden, hohen Kinderzahlen im familiären Haushalt oder Migration. Auch Niedriglöhne, existenzsichernde Zweit- und Drittjobs sowie Flickschusterei bei der Familienförderung oder dem Kindergeld begünstigen diese Entwicklung.

So äußert sich Kinderarmut nicht nur in einem leeren Geldbeutel, sondern geht häufig auch mit beengten Wohnverhältnissen, Statusverlust, einem eingeschränkten Freundeskreis, sozialem Rückzug bis zur Isolation, eingeschränkten Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten, kultureller Unterversorgung, dürftigen Vereinsaktivitäten, dem Fehlen bei Klassenfahrten sowie physischen und psychischen Defiziten einher. Zudem kann Kinderarmut die Ursache dafür sein, dass sich der Unterstützungsbedarf auch im Erwachsenenalter fortsetzt und auf die nächste Generation „vererbt“. Schon daher sollte gelten: Prävention statt Intervention!

Nichtsdestotrotz würde es auch mit einer Gelddruckerei nicht gelingen, Kinderarmut zu beenden, so lange die Wechselwirkung zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg nicht aufgelöst sowie Lernumfeld und Förderung von Kindern vom finanziellen Spielraum des Elternhauses abhängen.

Kinderarmut als sozialarbeiterisches Problem

Armut und soziale Benachteiligung zählen zu den primären Handlungsfeldern Sozialer Arbeit und setzt i.d.R. dort an, wo die sozialpolitischen Maßnahmen des Staates aufhören. Frühzeitige Hilfen greifen allerdings nur dann, wenn Kinderarmut nicht unter den Teppich gekehrt, sondern wahrgenommen und als gesellschaftliche Verpflichtung anerkannt wird.

Darum hat die Politik nicht nur den Auftrag, die rechtlichen und materiellen Voraussetzungen für Bildungsgerechtigkeit zu schaffen und die Bildungschancen für alle zu verbessern, sondern auch die Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe weiterzuentwickeln.
Nichtsdestotrotz: Kinderarmut geht alle an!

Unter den heutigen Rahmenbedingungen trägt armutsbezogene Sozialarbeit mit individuellen Hilfen und strukturellen Maßnahmen insgesamt dazu bei, die Voraussetzungen zur Teilhabe von Kindern und Jugendlichen am sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Leben zu verbessern und sie zu einem selbstbewussten Umgang mit Armutserfahrungen zu ermuntern.

Ansatzpunkte der Sozialen Arbeit gegen Kinderarmut

Im Kampf gegen Kinderarmut ist Sozialarbeit ein Impulsgeber, da die Förderung von chancengleichen Bildungsprozessen ohnehin Schwerpunkt in der Kinder- und Jugendhilfe ist, egal ob in der Kindertagesstätte, der offenen Kinder- und Jugendarbeit, der Familienbildung, in Jugendverbänden, der kulturellen Jugendarbeit, der Jugendsozialarbeit oder im Bereich Hilfen zur Erziehung. Dabei könnte eine am tatsächlichen Bedarf von Kindern orientierte Existenzsicherung sowie ein günstiges soziales Umfeld wesentlich zur Verbesserung der Lebensqualität von Kinder aus benachteiligten Milieus beitragen. Dazu finden Sie nachfolgend Ansätze aus unterschiedlichen Bereichen:

  • In der Kindertagesbetreuung sind soziale Benachteiligungen nur dann kompensierbar, wenn der Zugang nicht vom Elterneinkommen abhängt und Beitragssenkung bzw. -befreiung konsequent geregelt werden. Auch ein qualitativer Fortschritt im Bereich frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung in Verbindung mit einer bedarfsgerechten finanziellen Ausstattung führt dazu, dass Kinder von bildungsfernen oder ausländischen Familien gezielter gefördert werden können.
  • In Schulen können Bildungsbenachteiligungen von Kindern dann ausgeglichen werden, wenn der quantitative und qualitative Ausbau der Ganztagesbetreuung vorangetrieben, Angebote der kulturellen Bildung, Kinder- und Jugendarbeit sowie Hilfen zur Erziehung auf mehr Bildungsgerechtigkeit ausgerichtet und durch ein kostenfreies Mittagessen und Lernmittelfreiheit nach schwedischem und finnischem Vorbild ergänzt werden. Zudem ist es schizophren, dass die Teilnahme an Klassenausflügen und –fahrten am finanziellen Budget der Eltern scheitern kann.
  • Mit leistungsfähigen Netzwerken im Bereich Frühförderung und Frühe Hilfen, aufsuchenden Angeboten, einer intensiven Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Familienbildung sowie abgestimmten Angeboten von Kinder-und Familienhilfeeinrichtungen, Jugendämtern, Allgemeinen Sozialen Diensten, Familienberatungen und Gesundheitsdiensten können systematisch geeignete Hilfeangebote (z. B. Kinderschutz, Elternarbeit, Familiengesundheitspflege) an betroffene Familien gerichtet und damit frühzeitig, langfristig und nachhaltig gestärkt werden.
  • Freizeitangebote sollten unabhängig von deren Finanzkraft auf die Bedarfe benachteiligter Kinder zugeschnitten werden und durch zielgerichtete Förderungen ermöglichen, dass die Teilnahme an Ferienfreizeiten, am Musikschulunterricht oder am Vereinssport für alle Kinder machbar sind.
  • Mit einer zielbewussten Gesundheitsförderung z. B. durch Gemeinschaftserlebnisse, Freude an Bewegung und der eigenen Körperlichkeit, gesunder und vollwertiger Ernährung sowie Sprachentwicklung kann (armutsbedingten) Defiziten, Entwicklungsrückständen und Verhaltensauffälligkeiten von allen Kinder in Kindertagesstätten und Schulen begegnet werden.
  • Da Armut und soziale Benachteiligung bei Kindern oft dazu führt, Problemen aus dem Weg zu gehen sowie sich als Opfer mit Zukunftsängsten, Depressionen, Labilität, Orientierungslosigkeit oder Verhaltensauffälligkeiten zu fühlen, müssen subjektive Belastungsgefühle gemindert und eigene Ressourcen gestärkt werden.
  • Mit einer angemessenen politischen Bildung verknüpft mit der Vermittlung von Werten, Normen und Handlungskompetenzen für die Teilhabe und Mitgestaltung von Demokratieprozessen trägt Sozialarbeit dazu bei, dass Kinder, Jugendliche und Eltern lautstark auf ihr missliche Lage aufmerksam machen und aktiv mitwirken, sich daraus zu befreien.
  • Eine vorausschauende Sozialplanung ermöglicht unabhängig vom Wohnort die Schaffung qualitativ vergleichbarer Angebote (z. B. mobile Jugendarbeit, Streetwork), so dass in der Stadt und im ländlichen Raum lebende Kinder und Jugendliche von einer vernetzten sozialen Infrastruktur profitieren können.
  • Für Sozialarbeiter ist die Kinder- und Jugendhilfe als Arbeitsfeld nur dann attraktiv, wenn das Gehalt fair, die Arbeitsbedingungen modern und die Inhalte in der Aus-, Fort- und Weiterbildung u.a. auch Ursachen und Folgen von Armut beinhalten. Nichtsdestotrotz erfordert der professionelle Umgang mit Armutsfragen Flexibilität, die Bereitschaft, sich dem belastenden Alltag von armutserfahrenen Kindern und Jugendlichen zu stellen, sowie individuell zugeschnittene sozialpädagogische Maßnahmen zu entwickeln.

Gesellschaftliche Reserven und Kinderarmut

Bei allen Anstrengungen: Die Möglichkeiten Sozialer Arbeit sind begrenzt, um mit den vielschichtigen Armutsproblematiken umzugehen, zumal Kinder und Jugendliche, auch bei Heimerziehung, in ihre oft desolaten sozialen Verhältnisse zurückkehren. Nur im Zusammenwirken mit dem Staat, der die Instrumente für den Abbau sozialer Ungleichheiten in der Hand hat, könnten Armut und ihre Folgen gelindert und wirkungsvoll bekämpft werden.

Würden etwa neben der Reform des Unterhaltsvorschusses Zuwendungen gezielter an Initiativen zur Förderung benachteiligter Kinder sowie die Unterstützung von Eigeninitiative und Selbsthilfe vergeben, das Kindergeld gerechter ausgestaltet und der Mehrbedarf Alleinerziehender berücksichtigt, wären einige Schritte getan. Zudem muss es Vollbeschäftigten möglich sein, ihren Lebensunterhalt ohne Zweit- und Drittbeschäftigungen zu bestreiten und damit ihren Kindern ein gleichberechtigtes Leben zu sichern.

Fazit

Kinderarmut heißt nicht nur materieller Verzicht, sondern auch ein Leben mit Bildungsungerechtigkeit SP_logo16_Fazitsowie sozialen, kulturellen und gesundheitlichen Mängeln. Sozialarbeit kann Kindern und Jugendlichen mit bedarfsgerechten Angeboten diese Defizite erträglich gestalten, ihre individuellen Stärken fördern und das Thema offensiv propagieren, nicht aber das gesellschaftliche Ungleichgewicht ausbügeln.

Tags:, ,


Kinderarmut – ein Thema für die Soziale Arbeit?
1 Stern2 Sterne3 Sterne4 Sterne5 Sterne
Bewertung: 4,36 / 5
(14 Bewertung)
Loading...