Kita, Schule und Seniorenheim – Miteinander oder Kampf der Generationen?

generationenNeulich fragten mich meine Eltern, ob ich wegen ihrer Rentenerhöhung sauer auf sie wäre. Zuerst verstand ich die Frage nicht. Als sie mir erzählten, dass junge Menschen heute Solidarprinzip und Generationenvertrag in Frage stellen, wurde mir der Hintergrund der Frage klar. Bisher hatte ich noch nicht ernsthaft über Generationengerechtigkeit nachgedacht. Doch lebt die ältere Generation wirklich auf Kosten der Jungen und verprasst damit unser Tafelsilber?

Die gerechte Verteilung von Lebenschancen, Lebensqualität und materiellen Ressourcen sowohl innerhalb einer Generation als auch zwischen Jung und Alt betrifft nicht nur die sozialen Sicherungssysteme wie Rente oder Krankenversicherung, sondern auch die Verteilung von (begehrten) Gütern und (unliebsamen) Lasten wie etwa das Verhältnis von Eltern und Kinderlosen, Arbeitnehmern und Langzeitarbeitslosen, Vielverdienern und geringfügig Beschäftigten, Gesunden und Kranken bzw. Menschen mit Behinderung, aber auch die Chancengleichheit zwischen Normalos und sozial Benachteiligten.

Generationengerechtigkeit sowie Chancen und Risiken des demografischen Wandels haben sich nicht nur zu Kernfragen in der Nachhaltigkeitsdebatte, sondern auch zu einer zentralen Aufgabe in der Sozialen Arbeit entwickelt.

Aber: Es geht dabei nicht darum, die Interessen von Jungen und Alten gegeneinander auszuspielen oder für politische Machtspiele zu missbrauchen, sondern die Stärken aller Generationen gezielt zu verknüpfen, Ungerechtigkeiten abzubauen und damit unsere Gesellschaft in Balance zu halten.

Übrigens: Mit „Generation“ bzw. „jung und alt“ meinen wir nicht nur Kinder und Hochbetagte, sondern auch alle Altersklassen dazwischen.

Chancen generationsübergreifender Sozialer Arbeit

Jung und alt ergänzen sich ideal, wenn die Potenziale der Generationen ohne große Reibungsverluste ineinander greifen. Während die Jungen meist über Spontanität, Flexibilität, Toleranz, Offenheit, mediales Know how und wenig Freizeit verfügen, punkten Ältere mit ihrer Lebens- und Berufserfahrung, Gelassenheit, Kontinuität, Traditionsbewusstsein und vor allem Zeit.

Bestes Bespiel für Generationenverständnis sind Großfamilien, in denen vom Kleinkind bis zum Hochbetagten alle unter einem Dach leben, nach ihren Möglichkeiten zu einem gelingenden Alltag beitragen und davon partizipieren. Aber auch außerhalb der Familien bestehen hohe Bedarfe an Generationenbegegnungen, insbesondere in den Bereichen Ausbildung, Schule, Berufsalltag und ehrenamtliches Engagement.

Andere Praxisbeispiele sind etwa Mehrgenerationenhäuser, die – klug geführt – den Generationenaustausch wesentlich befördern. Großelterndienste ermöglichen Kindern, deren Omas und Opas nicht in der Nähe wohnen, Betreuungsalternativen mit Familienanschluss. Senioren lesen in Kitas und Grundschulen vor, geben lernschwachen Schülern Nachhilfe, unterstützen Flüchtlinge beim Erlernen der deutschen Sprache oder geben ihr Wissen zu Handarbeiten, alten Spielen und Hauswirtschaft weiter.

Im Gegenzug unterstützen Kinder und Jugendliche interessierte Senioren beim Umgang mit moderner Technik, dem Internet, Handy oder sozialen Netzwerken. Auch kindliche Unbekümmertheit und Lebensfreude sowie jugendlicher Ideenreichtum und Mobilität kann älteren Menschen die aktive Teilhabe an unserer schnelllebigen Gesellschaft ermöglichen bzw. erleichtern.

Insbesondere Kindertagesstätten und Einrichtungen der Altenhilfe haben mit intergenerativen Projekten bereits viele Berührungsängste abgelegt. Regelmäßige Kontakte zwischen Kindern und Senioren bereichern den Einrichtungsalltag und fördern das gegenseitige Verständnis der beiden Generationen. Während Senioren neben dem Erhalt des aktuellen Lebensbezugs, neuen Erfahrungen und Lernprozessen häufig eine Steigerung der Aktivität, geistiger Vitalität und Lebensfreude erfahren, profitieren Kinder von altem Liedgut, Erzählungen und Traditionen, die ihnen anderenfalls verschlossen blieben. Auch das Hinterfragen, Überprüfen und ggf. das Korrigieren eigener Anschauungen durch kontinuierliche Beziehungsarbeit ist ein wichtiges Ergebnis von Generationenbegegnungen.

Ansätze in der intergenerativen Sozialarbeit

Die unterschiedlichen Sichtweisen, Einstellungen und Lebenswelten von Generationen so zu vermitteln, dass daraus fruchtbare Begegnungen, wertvolle Kooperationen, Hilfen oder Wissenstransfer (auch intergenerationelles Lernen) entsteht, erfordert von Sozialpädagogen fundiertes Wissen, unkonventionelle Herangehensweisen, Kreativität und Fingerspitzengefühl. Auch bei den Beteiligten selbst spielt das Sprechen einer gemeinsamen Sprache ebenso wie Geben und Nehmen eine zentrale Rolle.

Der sozialpädagogische Schwerpunkt intergenerativer Arbeit liegt klar auf Kontaktkontinuität, so dass individuelle Begegnungen und der Aufbau tieferer Beziehungen ebenso möglich sind wie die aktive Begegnung mit der Generationenkluft, sozialer Isolation und Vereinsamung.

Für die in diesem Berufsfeld tätigen Sozialarbeiter heißt dies, verschiedene Lebenswelten von Jugendlichen und Senioren differenziert wahrzunehmen, zu erfassen und ein ernsthaftes Verständnis für gemeinsame Schnittmengen aufzubringen. Mit geeigneten Formen, Konzepten und Auswahlkriterien für persönliche Begegnungen, umfassender inhaltlicher Vorbereitung, Motivation für generationenübergreifende Angebote, der Berücksichtigung möglicher Konflikte und Hindernisse sowie gezielter Unterstützung bei fehlender Generationen-Kommunikation können intergenerative Angebote längerfristig erfolgreich sein (Win-Win-Situation).

Hemmnisse in der generationenübergreifenden Sozialen Arbeit

Trotz aller positiven Synergien ist das Generationenverhältnis nicht durchweg homogen. Negativ reflektierte Altersbilder und Sichtweisen, Unwissenheit und Vorurteile sowie unterschiedliche Interessen und Wertevorstellungen erschweren oder verhindern sogar den Generationendialog.

Zudem verbringen Generationen ihren Alltag einsortiert in sozialpolitische Schubladen und strikt voneinander getrennt, so dass sich Abschottung, Entfremdung und Beziehungslosigkeit noch verstärken. Kinder werden in Kinderkrippen, Kindergärten, Horten oder Tagesgruppen betreut und erwerben ihre Bildung in der Schule. Alte Menschen wohnen immer häufiger in Alten- und Pflegeheimen, betreuten Wohngruppen oder allein in ihrer Wohnung. Mehrgenerationen-Einrichtungen sind eher noch die Ausnahmen.

Auch die öffentlichen Sozial- und Fördersysteme tragen dazu bei, dass sich bestimmte Zielgruppen wie Kinder und Jugendliche (Kinder- und Jugendhilfe) oder Senioren (Altenhilfe) in separaten Zuständigkeiten wiederfinden und damit den gemeinwesenorientierten Ansatz Sozialer Arbeit behindern.

FAZIT:

Ein respektvolles Miteinander der Generationen verhilft allen Beteiligten, spannende Erfahrungen zu sammeln, andere Sichtweisen zu akzeptieren, Wissen weiterzugeben und sich zu unterstützen, aber auch Vorurteile abzubauen und gesellschaftliche Schlammschlachten auf Sachebene auszubalancieren. Allerdings geht einer erfolgreichen Generationenarbeit meist ein steiniger Weg voraus.

 

Übrigens: Vom Wissen und den Erfahrungen meiner Eltern profitiere ich bis heute. Für Sozialneid und Groll ist da kein Platz – Zweifel ausgeschlossen!

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