Soziale Arbeit und Selbstständigkeit – Alltag oder Risiko?

In der Sozialarbeit entwickelt sich durch die steigende Nachfrage nach Individualisierung, personenbezogenen Dienstleistungen und flexiblen Arbeitsverhältnissen sowie Outsourcing ein wachsender Markt für Unternehmensgründungen. Zudem begünstigen zunehmender Arbeitsdruck, unsichere Beschäftigungssituationen oder niedriges Gehalt die Suche nach lohnenswerten Alternativen zum bisherigen Beschäftigungsverhältnis.

So verdienen heute Tagesmütter in der Kindertagespflege und zunehmend mehr Pflegedienste in der Altenbetreuung ihren Lebensunterhalt. Auch die Zahl von psychisch belasteten oder beeinträchtigten Menschen steigt stetig und damit der Bedarf an professionellen Hilfen.

Mögliche Handlungsfelder für eine selbstständige soziale Arbeit

Unternehmen im Sozialbereich erbringen entweder Dienstleistungen direkt für bedürftige Menschen oder im Auftrag von Sozialleistungsträgern. Ob im Rahmen einer Honorartätigkeit bei freien Trägern, als Einzelunternehmen, (g)GmbH oder GbR – eine berufliche Selbstständigkeit, gewerblich wie freiberuflich, ist in traditionellen und neuen sozialen Berufsfeldern möglich.

So bietet die ambulante Jugendhilfe mit Angeboten wie der ambulanten Erziehungshilfe, der sozialpädagogischen Familienhilfe sowie der sozialpädagogischen Einzelbetreuung ein geeignetes Feld für Unternehmensgründungen, da zunehmend mehr verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche aus problematischen Familienverhältnissen stammen.

In der Behindertenhilfe bieten ambulante Wohn- und Betreuungsangebote sowie Beratungen im Bereich sozialer Dienstleistungen ein zukunftsfähiges Potenzial für Start-Ups erwerbswirtschaftlicher Sozialunternehmen.

Vor allem private Firmen nutzen heute Kompetenzen von Sozialarbeitern und Sozialpädagogen für teambildende Maßnahmen und Sozialkompetenz Training, aber auch Coaching, Supervision, Mediation sowie Konflikt- und Qualitätsmanagement eignen sich als tragfähige Säulen sozialer Fachkräfte.

Selbständige in der Sozialen Arbeit sind prädestiniert für Marktsegmente, die nicht als öffentliche Aufgabe gesehen oder durch öffentliche Dienstleistungen nicht ausreichend bearbeitet werden. Dies können ergänzende schulische Betreuungs- und berufliche Beratungsleistungen, die Umsorge und Hilfe für ältere Menschen jenseits der Pflege, systemische Familientherapie oder Beratungsangebote in verschiedensten Lebenslagen sein. Auch hyperaktive Kinder sowie Menschen in sozialen Notlagen und mit gesundheitlichen Problemen sind relevante Zielgruppen.

Von nichts kommt nichts – Anforderungen für soziale Dienstleistungen

Berufliche Selbstständigkeit bedarf auch im Sozialwesen einiger Grundvoraussetzungen. So ist zuerst einmal einen „Markt“ für die anzubietende Leistung notwendig, der durch eine Bedarfsanalyse ermittelt werden kann. So ermöglichen Geschäftsideen wie hoch spezialisierten Angebote, die weitgehend konkurrenzlos sind und sich (vorerst) auf größere Zielgruppen richten, besonderes Potenzial. Anderenfalls kann die Unternehmensgründung ein Sprung ins kalte Wasser mit ungewissem Ausgang werden.

Nach der Bedarfsabfrage zählen Fachkompetenz, bedarfsgerechte Qualifikation, kontinuierliche Weiterbildung und ggf. Zusatzqualifikationen zu den grundlegenden Anforderungen. Fachwissen in den Bereichen Verwaltung, Projektmanagement und Betriebswirtschaft, kaufmännisches Denken sowie Berufs- und Führungserfahrung tragen dazu bei, für Aufgaben wie Heimleitung, verantwortliche Pflegefachkraft, Sozialmanagement oder Pflegemanagement gerüstet zu sein.

Ohne Beziehungen läuft nichts! Für eine effektive Arbeit ist neben Kontakten zu potenziellen Kunden und Anbietern sozialer Dienstleistungen ein funktionierendes Netzwerk mit Sozialleistungsträgern (gleich Kostenträger), Ämtern und Behörden, Beratungsstellen, Pflegestützpunkten, weiteren Anbietern von sozialen Leistungen (z. B. für haushaltsnahe Dienstleistungen) oder Fach- und Berufsverbänden unumgänglich. Dabei erleichtern Netzwerke nicht nur die gemeinsame Arbeit, sondern auch den Zugang zu aktuellen rechtlichen Entwicklungen sowie Lobbyarbeit und Interessenvertretung.

Existenziell sind sozialrechtliche Kenntnisse zur Leistungsfinanzierung, da sich gesetzliche Grundlagen oder Vergütungssysteme oft verändern. Auch für die Zulassung durch Kranken- und Pflegekassen sind ggf. spezifische Anforderungen bei der Sach- und Personalausstattung zu erfüllen.

Organisationstalent pusht die Organisation von Arbeitsabläufen, die Steuerung von Arbeitsaufgaben oder der Planung.

Letztendlich sind im Sozialwesen gefestigte unternehmerische Persönlichkeiten mit menschlichen Qualitäten gefragt, die besonderes Einfühlungsvermögen für ihre Klienten mitbringen, sich aber er auch von deren emotionalen und psychischen Belastungen abgrenzen können.

Allerdings ist eine selbstständige soziale Tätigkeit nicht für jeden eine Option. Neben den täglichen Herausforderungen zur Sicherung des eigenen Lebensunterhaltes spielen die Verantwortung für Dritte, Daseinsvorsorge und persönliches Engagement eine zentrale Rolle. Der berechtigte Wunsch nach Selbstverwirklichung sowie sozialer Idealismus und Helfermotivation allein sind (leider) keine konkurrenzfähigen Motive, da am Monatsende auch der Umsatz stimmen muss.

Freie Träger kontra soziale Unternehmen – Salz oder Haar in der Suppe?

Die Soziallandschaft wird durch Träger der freien Wohlfahrtspflege geprägt, die traditionell Vorrang gegenüber erwerbswirtschaftlichen Unternehmungen haben. Nichtsdestotrotz entwickelt sich der Sozialstaat zunehmend zu einem Anbietermarkt mit konkurrierenden Leistungsangeboten, in dem die Sozialleistungsträger ein berechtigtes Interesse an wettbewerbsfähigen innovativen Unternehmen mit hohem Qualitätsanspruch haben. Der Kampf um die meist knappen Budgets birgt allerdings auch die Gefahr, dass unqualifiziertes Personal eingesetzt, Tarifbindungen umgangen und Leistungen zu Dumpingpreisen angeboten werden.

Für Selbstständige ist es meist wesentlich, bei den Jugendämtern einen Fuß in die Tür zu bekommen und bei der Vergabe von Sozialdienstleistungen berücksichtigt zu werden. Während die einen auf Altbewährtes setzen („Da wissen wir, was wir haben.“), vertrauen andere auf spezielle Kenntnisse und die hohe zeitliche und inhaltliche Flexibilität selbstständiger Unternehmen.

Insbesondere in der Jugendhilfe ist die Anerkennung als freier Träger sowie Gemeinnützigkeit gefordert, dass Selbstständige vor Probleme stellt.

Ohne Moos nix los

Eine Existenzgründung im Sozialwesen muss nicht mit einem Schuldenberg beginnen. So ist etwa der Finanz- und Investitionsbedarf bei Trainern bzw. Coaches und Tagesmüttern überschaubar. Bei der Neueröffnung einer Kindertageseinrichtung oder eines Pflegedienstes sieht es freilich anders aus.

Die Kosten für soziale Dienstleistungen werden häufig von Kranken- und Pflegekassen sowie Sozial- und Jugendämtern übernommen, d.h. der Leistungsempfänger ist meist nicht der, der zahlt. So bewegen sich soziale Dienstleister oft in Dreiecksbeziehungen, die dann problematisch werden, wenn Erwartungen der zu pflegenden bzw. zu betreuenden Menschen über die gesetzlichen Finanzierungsmöglichkeiten der Sozialleistungsträger hinausgehen.

Tagesmütter erhalten für ihre Tätigkeit eine Geldleistung vom zuständigen Jugendamt, die auch eine Kostenbeteiligung der Eltern beinhaltet.

Bei Leistungen von Haushaltshilfen oder Palliativbetreuern sind in der Regel die Privatpersonen Selbstzahler, es sei denn, behinderte Menschen können für Unterstützung beim Einkauf oder im Haushalt Beihilfen beantragen.

Wollen Existenzgründer von staatlichen Fördermöglichkeiten oder Krediten partizipieren, ist ein schlüssiges tragfähiges Geschäftskonzept unumgänglich.

Soziale Arbeit und Werbung

Auch wenn der Bedarf an sozialen Dienstleistungen z. B. im Pflegebereich immens ist, flattern den Akteuren die gebratenen Gänse nicht in den Mund. Die Kundenakquise im Sozialwesen lebt allerdings weniger von großen Werbebannern, sondern von Vertrauen, Mund-zu-Mund-Propaganda und persönlichen Empfehlungen – dem „guten Ruf“ und einem optimierten Selbstmarketing. Trotzdem können z. B. Flyer in Apotheken, Arztpraxen, Ämtern, Beratungseinrichtungen oder Mehrgenerationenhäusern, aber auch Internetportale oder das Firmenauto den Bekanntheitsgrad erhöhen und die Kundengewinnung erleichtern.

FAZIT:

Selbstständigkeit im Sozialwesen ist eine attraktive Alternative, wenn die fachlichen, finanziellen und SP_logo16_Fazitindividuellen Voraussetzungen sowie das Umfeld stimmen. Allerdings ist nicht jeder als Unternehmer geboren, denn Selbstständigkeit bedeutet auch „selbst und ständig.“ Letztendlich behaupten sich nur diejenigen auf dem Markt, die fachliche Qualität mit sozialer Kompetenz, Flexibilität, seriösem Finanzgebaren und einem langem Atem verbinden können.

Tags:,


Soziale Arbeit und Selbstständigkeit – Alltag oder Risiko?
1 Stern2 Sterne3 Sterne4 Sterne5 Sterne
Bewertung: 4,14 / 5
(28 Bewertung)
Loading...