Stress bei Kindern und Jugendlichen

stress_bei_kindernIm Jahr 2015 wurde von Prof. Dr. Holger Ziegler von der Universität Bielefeld eine Stress-Studie zum Thema „Burn-Out im Kinderzimmer: Wie gestresst sind Kinder und Jugendliche in Deutschland?“ veröffentlicht.

Hand aufs Herz: Wir verbinden Stress mit Workaholics, Geschäftsführern oder Paketzustellern, rollen die Augen, wenn Hausfrauen und Beamte das Wort „Stress“ in den Mund nehmen oder von überforderten Kindern berichtet wird. Besteht unsere Gesellschaft nur noch aus Weicheiern oder schrauben wir in gefährlicher Weise an einer optimierten Kindheit?

Stress – zwischen Erwartungshaltung und Perfektionszwang

Zentrales Ergebnis der Studie ist, dass Stress für Kinder erhebliche negative Folgen hat und etwa jedes sechste Kind und jeder fünfte Jugendliche davon betroffen ist. Als Hauptursachen wurden u .a. mangelnde selbstbestimmte Freizeit, fehlendes Mitspracherecht, Aufgaben im Familienhaushalt sowie die hohe Erwartungshaltung der Eltern ausgemacht.

Strapazierte Erwachsene wie z. B. Eltern, Erzieher und Lehrer übertragen, wenn auch unfreiwillig, ihre eigene Anspannung auf das Umfeld. Während in Familien häufig anspruchsvolle und unstete Berufstätigkeiten der Eltern, bedrückende Lebensumstände, finanzielle Engpässe, Frust oder eigene Überforderung dazu führen, dass die Erziehung, Förderung und Finanzierung des Nachwuchses zu einer Mammutaufgabe auswächst, laufen etwa Erzieher und Lehrer durch die steigenden Anforderungen, Personalmangel und teils misslichen Rahmenbedingungen längst im Hamsterrad. Zudem tragen familiäre Spannungen (z. B. durch Scheidung), strenge und erfolgsorientierte Erziehungsstile sowie mit der Situation unzufriedene Erzieher und Lehrer dazu bei, dass das Stressgefühl immer präsent ist. Im Gegenzug spüren Heranwachsende schon sehr früh, dass ihr Wert als Mensch an Leistungsfähigkeit und Potenzial gemessen wird.

Hop oder top – die Suche nach dem gesunden Mittelmaß

Eltern sind hin und her gerissen zwischen Autonomie und Erfolgsdruck. Natürlich möchten sie, dass ihre Kinder nicht nur gut behütet, sondern auch beliebt und eine Sportskanone sind, gute Noten nach Hause bringen, sich durchsetzen und ein Instrument spielen können, coole Klamotten tragen, lohnenswerte Dinge tun und in ihrem jungen Leben zügig vorwärts kommen. Kindertagesstätten packen auf diese familiären Bürden noch eine Schippe drauf, denn auch in der Kita werden längst nicht mehr nur Sandburgen gebaut, sondern nach Bildungsplänen gearbeitet. So spielen im frühen Kindesalter bereits Schreiben, Zählen und Rechnen, das Erlernen von Sprachen sowie Computer- oder Musikschule eine gewichtige Rolle. 

Allerdings ist nicht nur Leistungsdruck, sondern auch Freizeitstress belastend – Montag Tanzunterricht, Dienstag Chor, Mittwoch Computerschule, Donnerstag Sportverein, am Wochenende zum Basketballturnier und zwischendurch lernen, um als Superschüler zu glänzen. Mit Terminen und Verpflichtungen voll gestopfte Tagesabläufe plus ambitionierte ehrgeizige Eltern, dem sind viele Kinder nicht gewachsen. Und wer gibt schon gerne zu, dass einem alles über den Kopf wächst? Daher sollten Eltern typische Symptome wie etwa Bauch- oder Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit, Schlafstörungen, Appetit- und Antriebslosigkeit, aber auch Aggressivität, Hyperaktivität und Nervosität sowie Verweigerung als Warnsignale erkennen. Zudem potenziert mangelnder Selbstwert, Scham und Versagensängste das Stressgefühl. Heißt: Eltern tun ihrem Nachwuchs nichts Gutes, wenn sie ständig Höchstleistungen erwarten und damit die Grenze zwischen Förderung und Überforderung überschreiten. Auch Kinder brauchen Luft zum Atmen, Platz für sich, Zeit zum Chillen und Abhängen, aber auch für Spontanität, Kreativität und Neugier.

Studien (u. a. Sinus-Studie 2012) belegen sogar, dass anhaltender Leistungsdruck, Überforderung und Unsicherheit, aber auch undurchschaubare Bildungssysteme und Berufsbilder bei Kindern und Jugendlichen nicht nur zu Resignation und Orientierungslosigkeit führen, sondern auch den Griff zu Drogen wie Joint, Alkohol oder Aufputschmitteln begünstigen. Wollen wir das wirklich?

Kinder und die Selbstverwirklichung der Eltern

Haben sich Paare erst einmal für eine Familiengründung entschlossen, wird bereits das Kinderzimmer mit allem, was der Markt hergibt, eingerichtet. Perfekt sollen nicht nur die Ausstattung und die Eltern-Kind-Beziehung sein, sondern wir möchten die Entwicklung von Sozialkompetenz, Problemlösungsqualitäten, Kreativität, Umweltbewusstsein und Computergrundwissen bestenfalls schon im Kindergarten abhaken.

Auch wenn im Kindesalter etwa geistige und motorische Fähigkeiten besonders effektiv erlernt werden können – „Viel hilft viel“ trifft es nicht immer – ist heute mehr denn je lebenslanges Lernen gefragt. Kinder werden keine Musterschüler, Handwerker, Geschäftsführer oder Torschützenkönige, nur weil wir es so wollen. Schließlich machen wir um lästige Dinge auch lieber einen großen Bogen und gehen stattdessen spannenden Hobbys nach. Lieb Gewonnenes sorgt schließlich für Ausgleich, Entspannung, gute Laune und Motivation.

Noch ein Aspekt: Vom Smartphone getriebenen Eltern fehlt die notwendige Zeit, an dem bunten Alltag ihrer Kinder intensiv teilzuhaben!

Bestätigung statt Druck

Auch wenn Schulnoten desaströs sind, die sportlichen Fähigkeiten nicht für eine Profikarriere reichen, ein Musikmuffel keine Begeisterung fürs Klavierspiel entwickeln oder das Nachbarskind den Kopfstand eher kann, stempelt dies Kinder und Jugendliche nicht zu schlechten Menschen, Versagern oder Losern. Stattdessen sind Ehrgeiz wecken, Lob und Anerkennung kundtun, Zuversicht versprühen, Sicherheit, Geborgenheit und Vertrauen verleihen, auf individuelle Bedürfnisse und Eigenheiten des Nachwuchses eingehen, aber auch gemeinsame Zeit, Ruhe, Verständnis und Humor eher Erfolgsgaranten. Individuelle Unterstützung, freundschaftliche Begleitung, Ehrlichkeit und Akzeptanz können dazu verhelfen, dass jeder seinen Platz im Leben findet, egal ob als Frühentwickler oder Spätzünder, Hauptschüler oder Abiturient, Musiktalent oder Kunstbanause, mit Berufsausbildung oder Studium, mit oder ohne Einschränkungen.

Übrigens ist nicht belegt, dass finanzielle Sorglosigkeit und familiäre Perfektion zu einem glücklicherem Leben führen. Auch eine drohnenhafte Präsenz der Eltern ist nicht förderlich, um Kindern und Jugendlichen Eigenständigkeit, Selbstbewusstsein und Mut zu vermitteln.

Soziale Arbeit und Stresskinder

Soziale Arbeit kann das Lebensregime gestresster Kinder und Jugendlicher positiv beeinflussen, denn Sozialarbeiter schauen aus einer anderen Perspektive auf deren Entwicklung. Sie gehen mit Unzulänglichkeiten unaufgeregter (besser?) um, bevormunden kaum, erwarten wenig, differenzieren nicht nach gut oder schlecht, sind unvoreingenommen und bedienen sich funktionierender Netzwerke wie z. B. zur Schule. Für Kinder und Jugendliche können intensive Kontakte zu Außenstehenden dann vorteilhaft sein, wenn das Familienklima etwa durch Konfrontationen oder Gängelei keine Sachlichkeit zulässt und das ohnehin vorhandene Keiner-versteht-mich-Gefühl noch verstärkt. Soziale Arbeit kann dazu beitragen, dass sich junge Menschen ihrer Überforderung bewusst werden, dies kommunizieren und aktiv nach Alternativen bzw. Auswegen suchen.

Fazit

Die Förderung von Kindern und Jugendlichen ist wichtig und die Behauptung wäre unglaubwürdig, dass SP_logo16_Fazitin unserer Leistungsgesellschaft Erfolg keine Rolle spielt. Nichtsdestotrotz ist die Kindheit nicht dazu da, um das Humankapital für die Zukunft unserer Gesellschaft zu schmieden. Vielmehr stehen neben der vielseitigen körperlichen und geistigen Entwicklung die Suche nach individuellen Stärken, Vorlieben, Identifikation und Zielen sowie die Einordnung ins soziale Umfeld im Vordergrund.

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