Streik der Erzieher-Notwendigkeit oder Zumutung?

Kita StreikIn vielen kommunalen Kindertagesstätten und Betreuungseinrichtungen Deutschlands wird seit Anfang Mai unbefristet gestreikt. Für die Eltern herrscht seither Alarmstufe Rot, weil sie für die Suche nach Betreuungsalternativen für ihre Kinder selbst verantwortlich sind.

Das Verständnis für die Streikenden hängt von der persönlichen Betroffenheit jedes Einzelnen ab. Während Berufstätige schnell an die Grenzen ihrer Belastbarkeit und Geduld gelangen, wenn sie ihren Nachwuchs nicht unterbringen, schlagen sich andere entweder auf die Seite der Streikenden oder wettern dagegen – dieser Streik spaltet die Gesellschaft.

Wer streikt wofür?

Von den insgesamt 53.400 Kindertagesstätten in Deutschland mit ca. 3,2 Millionen betreuten Kindern werden ausschließlich kommunale Einrichtungen bestreikt, die Erzieher mit Tarifbindung an den Öffentlichen Dienst (TVöD) beschäftigen. Private oder kirchliche Träger sind also nicht betroffen.

Die Streiks, zu denen die Gewerkschaften ver.di, Erziehung und Wissenschaft GEW sowie der Beamtenbund dbb aufgerufen haben, betreffen allerdings nicht nur kommunale Kitas, sondern auch Beschäftigte in Einrichtungen bzw. Werkstätten für Behinderte sowie Heilpädagogen, Sozialarbeiter und Sozialpädagogen im Allgemeinen Sozialdienst, offenen Ganztagsschulen oder in Heimen für Kinder und Jugendliche.

Mit dem Arbeitskampf wollen die Gewerkschaften die kommunalen Arbeitgeber zwingen, die Tätigkeit der etwa 240.000 Beschäftigten im Sozial- und Erziehungswesen aufzuwerten und mehrere Tarifstufen höher einzugruppieren. Dies entspräche einer Gehaltserhöhung von etwa 10 % oder 1,2 Milliarden Euro pro Jahr.

So weit, so gut – Professionalisierung hat ihren Preis!

Gründe für den Erzieher-Streik

Sowohl die Anforderungen und Erwartungen an Erzieher als auch der Kindergartenalltag haben sich grundlegend verändert. Die Umsetzung von Bildungs- und Qualifizierungsplänen, Sprachförderung, Integration von Flüchtlingskindern, musikalischer Frühförderung, Bewegung, gesundheitspräventiven und freizeitpädagogischen Angeboten, Gruppenbetreuung, Projekten, Dokumentation der frühkindlichen Entwicklung, Elterngesprächen oder dem frühzeitigen Erkennen von Kindesmissbrauch und häuslicher Gewalt ist mit einem pädagogischen Qualitätsschub verbunden, der (bisher) für die beteiligten Fachkräfte ohne finanziellen Ausgleich bleibt. Zudem kommen immer jüngere Kinder in die Kitas und verbringen mehr Zeit in den Einrichtungen.

Doch die Erzieher vermissen nicht nur eine angemessenen Bezahlung, sondern auch gesellschaftliche Anerkennung, Akzeptanz und Wertschätzung. Erzieher, Sozialarbeiter und Heilpädagogen agieren schließlich als Schaltzentrale zwischen Kindern und Jugendlichen, Familien, Netzwerkpartnern und Arbeitgebern, ermöglichen überhaupt erst ein erfolgreiches Arbeiten.

Was Erzieher heute leisten (müssen), muten sich viele Eltern selbst nicht zu!

Erzieher = Eier legende Wollmilchsau?

An manchen Tagen sind wir heilfroh, unser schreiendes Kind in der Kita abgeben und zur Arbeit gehen zu können. Klar, Erzieher verbringen meist mehr Zeit mit unseren Kindern als wir selbst, können die Augenblicke des Lachens, Weinens, erste Worte und Schritte hautnah erleben. Doch auch noch so süße Bengel und Zuckerpuppen können laut, trotzig, zickig und launisch, aber auch traurig und verängstigt sein, wenn Familien Probleme haben oder Eltern sich trennen. Von Erziehern erwarten wir dennoch in allen Lebenslagen Freundlichkeit, Ausgeglichenheit und Offenheit, aber auch Konsequenz, Bestimmtheit und vor allem Betreuungsqualität.

Für das Funktionieren der Kitas stehen auch hauswirtschaftliche Tätigkeiten wie Aufräumen, Tisch decken, Betten machen, An-, Aus- und Umziehen oder Schnürsenkel binden auf dem Plan. Wertvolle Zeit, die bei der pädagogischen Arbeit am Ende fehlt.

Zudem werden durch das aktuelle Bestreben des Bundesfamilienministeriums zum Ausbau von 24-
Stunden-Kitas zukünftig auch andere Arbeitszeitmodelle und noch mehr zeitliche Flexibilität von Erziehern erwartet.

Aber: Erzieher und Sozialpädagogen sind nicht für Rundum-Sorglos-Pakete und perfekte Kinder verantwortlich! Den Erziehungsauftrag haben nach wie vor die Erziehungsberechtigten, auch wenn sich einige dessen nicht bewusst sind.

Geld bestimmt die Welt …

Über Gerechtigkeit und Verdienstmöglichkeiten in sozialen Berufen lässt sich streiten, auch über Erziehergehalt. Jeder beurteilt dies ohnehin aus seiner eigenen beruflichen Situation. Beim Vergleich zwischen der Entlohnung der Erzieher und dem persönlichen Lohnzettel tränen uns die Augen – die einen staunen über den Verdienst von Erziehern, die anderen blicken eher mitleidig. Selbsttest empfohlen!

Die tarifliche Einstufung der Erzieher oder ähnlicher Berufsgruppen erfolgt bisher entsprechend Tätigkeit und Berufserfahrung.
Praktisches Beispiel: Eine Erzieherin erhält nach 5-jähriger Ausbildung etwa 2.300 Euro als Anfangsgehalt, nach 8-jähriger Tätigkeit monatlich 2.946 Euro brutto und nach 18 Jahren in der höchsten Stufe etwa 3.200 Euro.

Wir befürworten eine höhere finanzielle Anerkennung von Leistungen der Erzieher und Sozialpädagogen, keine Frage. Dennoch halten wir mit dem Blick auf den Verdienst vergleichbarer Berufsgruppen auch Augenmaß und Verhältnismäßigkeit für angebracht. Warum? Fachberater für Kitas oder die zuständigen Sachbearbeiter auf kommunaler Ebene arbeiten an Gebührenkalkulationen, Qualitätsmanagement oder der Evaluierung von Konzepten ebenso aktiv mit, verdienen aber meist deutlich weniger als Beschäftigte in Kitas. Vorsicht mit dem sozialen Frieden!

Pro und Contra

Warum sollen Erzieher, Sozial- oder Heilpädagogen mehr verdienen als bisher?

PRO: Wir vertrauen ihnen unser Wichtigstes an, unser Nachwuchs ist bei ihnen in guten Händen. Die Arbeit mit Menschen – die bedeutendste Ressource überhaupt – sollte (uns) mindestens ebenso viel wert sein wie die an einem Werkstück oder Projekt!

Erzieher oder Heil- und Sozialpädagogen tragen heute eine besondere Verantwortung für die Bildung und Erziehung unserer Kinder und Jugendlichen. Sie übernehmen zunehmend Aufgaben, die von Erziehungsberechtigten nicht wahrgenommen werden (können), vermitteln Sozialverhalten mit Normen und Werten oder nivellieren soziale Unterschiede.

Die komplexen und differenzierten Anforderungen an das Personal im Sozial- und Erziehungswesen erfordern professionelle früh- und sozialpädagogische Handlungskompetenzen, die zunehmend über eine akademische Laufbahn erworben und damit auch höher honoriert werden müssen.

CONTRA: Niemand bezahlt freiwillig mehr als er muss. Gehaltserhöhungen führen zu erheblichen finanziellen Mehrbelastungen der ohnehin klammen Kommunen, die über Kredite, sonstige Einsparungen oder die Erhöhung der Kita-Gebühren ausgeglichen werden müssen.

Zu hohe Kosten lassen zusätzliche Einstellungen von qualifiziertem (akademischen) Personal ebenso in weite Ferne rücken wie die Verkleinerung der Gruppengrößen. Zudem verstärken sich die Unterschiede zu anderen Anbietern von Sozial- und Erziehungsleistungen, die innerhalb bestimmter Berufsfelder zu Ungleichgewichten und ggf. Wettbewerbsverzerrungen führen. Marktwirtschaft?

Schlichterspruch und Kompromisse

Nachdem die wochenlangen Streiks und die Schlichtungsverhandlungen bisher zu keiner grundsätzlichen Einigung zwischen Gewerkschaften und kommunalen Arbeitgebern geführt haben, soll nun vor den abschließenden Gesprächen mit einer Mitgliederbefragung das Stimmungsbild zum Ergebnis der Schlichtungsverhandlungen ermittelt werden.

Es geht nicht (mehr) um eine prozentuale Gehaltserhöhung für alle betroffenen Berufsgruppen, sondern um die Änderung der Eingruppierung innerhalb der komplexen Tarifsysteme. So sollen die Werte in der Gehaltstabelle, die für den Sozial- und Erziehungsdienst gelten, für 8 der 17 Entgeltgruppen angehoben werden, so dass etwa „Erzieherinnen mit Grundtätigkeit“ durchschnittlich 3,3 % und andere Mitarbeiter zwischen 33 und 160 Euro mehr Gehalt bekommen würden. Auch für weitere Berufsfelder sieht der Schlichterspruch finanzielle Verbesserungen vor.

Gewonnen oder verloren? Der Anfang ist gemacht – allerdings ist mit dem Kopf durch die Wand ebenso wenig geeignet wie die Mauertaktik!

FAZIT:

Wir brauchen flächendeckend in unserem Land eine funktionierende und hochwertige Kinderbetreuung, wenn wir die SP_logo16_FazitWirtschaft durch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stärken sowie das Potenzial weiblicher Fachkräfte nutzen wollen. Dies setzt ein attraktives Berufsfeld im Erziehungs- und Sozialwesen voraus, das inhaltliche Qualität mit angemessener Entlohnung gleichermaßen verbindet.

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