Kinder- und Jugendarbeit – ein Fall für die Streichliste?

Das Deutsche Kinderhilfswerk befürchtet einen Wertverlust der Kinder- und Jugendarbeit in Deutschland. Warum? Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2015 belegen, dass der Anteil der Aufwendungen für die Kinder- und Jugendarbeit im Vergleich zu den Gesamtausgaben der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe in Höhe von 37,8 Mrd. Euro mit etwa 4,5 % auf den niedrigsten Wert seit Inkrafttreten des Kinder- und Jugendhilfegesetzes im Jahr 1991 gesunken ist. Während für die Kinder- und Jugendhilfe etwa durch die Kindertagesbetreuung und die Hilfen zur Erziehung deutlich mehr Mittel zur Verfügung stehen, werden Jugendhäusern, Abenteuerspielplätzen, Spielmobilen oder Projekten mobiler Jugendarbeit teilweise massiv die Daumenschrauben angezogen. Ist die Kinder- und Jugendarbeit weniger wert ist als andere Bereiche der Kinder- und Jugendhilfe?

Offene Kinder- und Jugendarbeit (OKJA) – mehr als nur Freizeitbeschäftigung

Die Schaffung von Angeboten der Jugendarbeit liegt in Verantwortung der Bundesländer, so bestimmt es das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG). Zur Umsetzung in der kommunalen Infrastruktur sind die kreisfreien Städte und Landkreise als öffentliche Träger der Jugendhilfe verpflichtet. Sie verwirklichen nach dem Subsidaritätsprinzip das Recht von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis 27 Jahre auf Leistungen im Bereich Kinder- und Jugendarbeit.

Auch wenn die Kinder- und Jugendarbeit als „Pflichtleistung“ definiert ist und von den für die Jugendhilfe zur Verfügung stehenden Mitteln ein „angemessener Anteil für die Jugendarbeit zu verwenden“ ist, genannt werden dabei zwischen 15 bis 20 %, wird dieser Bereich im Rahmen der Haushaltsdiskussionen oft als freiwillige bzw. präventive Leistung eingestuft. So wird die Kinder- und Jugendarbeit als Freizeitgestaltung abgetan und gerät unter Legitimationsdruck, wenn sie nicht in überschaubaren Zeiträumen sichtbare Erfolge nachweist.

Dabei erreicht die Kinder- und Jugendarbeit als einer der Bereiche der Kinder- und Jugendhilfe mit vergleichsweise wenig Fachkräften eine Vielzahl an Kindern und Jugendlichen. Außerdem steigt der „Wert“ der Kinder- und Jugendarbeit für die Entwicklung junger Leute, da sie nicht nur Persönlichkeitsentwicklung, Alltagsbildung, Identifikation mit der Gesellschaft, Toleranz, Gesundheitsförderung, Kreativität sowie Selbstständigkeit und Selbstwertgefühl, sondern auch die Integration Bildungsschwacher und sozial Benachteiligter fördert.

Offene Angebote der Kinder- und Jugendarbeit sind frei zugänglich und unverbindlich, erfordern weder Vereins- und Verbandsmitgliedschaften noch sonstige Voraussetzungen. Zudem arbeiten etwa Betreiber von Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen, Jugendräumen, Aktivspielplätzen und Spielmobilen, aber auch Theaterprojekten, Ferienfreizeiten und Erlebnispädagogik nicht gewinnorientiert, da sie vorwiegend durch die öffentliche Hand (mit) finanziert werden und eine kostengünstige Alternative zu kommerziellen Dienstleistern bieten.

Unter einer schlechten finanziellen Ausstattung der Kinder- und Jugendarbeit leiden ohnehin insbesondere Kinder und Jugendliche aus sozial schwachen und bildungfernen Familien, deren Eltern meist nicht die notwendige Fürsorge bieten können und damit ihre Entwicklungschancen einbüßen. Einige freie Träger ermöglichen sogar, dass Kinder und Jugendliche ein warmes Mittagessen erhalten, weil sich sonst niemand darum kümmert.

Potenziale der offenen Kinder- und Jugendarbeit

Bildung sowie personale und soziale Kompetenzen werden längst nicht nur durch das reguläre Bildungssystem der Schulen, sondern sogar zu einem größeren Teil in intuitiven Alltagssituationen in Familien, Gruppen oder eben in der Kinder- und Jugendarbeit (z. B. durch außerschulische Jugendbildung) vermittelt. Die Kinder- und Jugendarbeit eröffnet durch ihr breit gefächertes Maßnahmenspektrum Kindern und Jugendlichen allerlei Chancen wie etwa zur Übernahme von Verantwortung sowohl für sich selbst als auch für andere, für die Einbindung in Gruppen und Cliquen, die Auseinandersetzung mit Normen und Werten, Geschlechtsbewusstsein, Identitätsfindung, Konfliktbewältigung, das Wecken von Begabungen sowie das Meistern verschiedener Lebensabschnitte wie die Übergange von der Schule zur Ausbildung, der Auszug aus dem vertrauten Elternhaus oder die Entwicklung vom Single zum Familienmensch.

Insbesondere von Jugendverbänden wird die offene Kinder- und Jugendarbeit durch spezifische Profile geprägt (z. B. Ökohaus als außerschulischer Umweltbildungsort, Gesundheitsprojekte durch Sportvereine).

Auch in der Nachmittagsbetreuung von Schulkindern spielt die Kinder- und Jugendarbeit heute eine zentrale Rolle. Von der Verquickung von Schule und Jugendhilfe (Schulsozialarbeit) profitieren Kinder, Jugendliche, Eltern, Schule sowie die Kinder und Jugendarbeit gleichermaßen, wenngleich sich beide Partner oft auch kontrovers gegenüber stehen.

Wenn Jugendarbeit an ihre Grenzen stößt

Die offene Kinder- und Jugendarbeit bietet allerdings nicht nur Möglichkeiten, sondern hat auch ihre Grenzen. So wird etwa aufgrund fehlender Ressourcen und finanzieller Mittel versucht, mehrere Zielgruppen mit gleichen oder ähnlichen Angeboten zu erreichen, ohne deren individuelle Problemlagen, Bedürfnisse und Interessen sowie Jugendkulturen und –szenen zu beachten. So ist es nur folgerichtig, dass Maßnahmen an den Interessen von Kindern und Jugendlichen vorbei geplant werden oder sich Gruppen zusammenfinden, die weder Freizeitangebote nutzen noch Jugendeinrichtungen besuchen und sich in keine „Schublade“ pressen lassen. Stellt sich die Frage, ob bei den heutigen heterogenen Lebenslagen überhaupt noch von Zielgruppen gesprochen werden kann?

Nichtsdestotrotz ist es für die Lösung spezieller Problemlagen mit entscheidend, intensive Kontakte zu Netzwerkpartnern wie Trägern bestimmter sozialer Maßnahmen, Ämtern, der Polizei, zu Schulen, der Öffentlichkeit und der Politik zu pflegen.

Darüber hinaus ist es sinnvoll, konventionelle Formen der offenen Jugendarbeit mit aufsuchender Arbeit (siehe auch Streetwork) zu verknüpfen, wenngleich sich die Wirtschaftlichkeit dieser Beziehungsarbeit schwerlich in Zeit und Finanzbedarf messen lässt. Damit stehen Sozialarbeiter gleichwohl vor der Herausforderung, ihre „Wohlfühlzone“ z. B. in einer Jugendeinrichtung zu verlassen, sich mit allen Kindern und Jugendlichen im Sozialraum sowie deren Selbstverständnis, Ängsten, Konfliktpotenzialen und Gesinnungen aktiv auseinander zu setzen. Bei allen Anstrengungen und Optimismus: Nicht alle Kinder und Jugendlichen werden mit den Mitteln und Möglichkeiten der Kinder- und Jugendarbeit erreicht werden können.

FAZIT:

Kinder- und Jugendarbeit lebt von der Qualität der Sozialarbeiter und Pädagogen sowie den finanziellen, räumlichen und zeitlichen Ressourcen. Die Förderung von Hilfsangeboten für junge Menschen unabhängig von ihrer Jugendkultur ist für ihre Persönlichkeitsentwicklung notwendig und bedeutsam, um nicht zu einem späteren Zeitpunkt ihre sozialen Problemlagen mit einem viel höheren Aufwand „reparieren“ zu müssen.

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