Flüchtlingskrise und Soziale Arbeit – der schmale Grat zwischen Wollen und Können

FlüchtlingskriseSeit Monaten bestimmt die Flüchtlingskrise die öffentliche Diskussion nicht nur in Europa, sondern auch in Deutschland von Berlin bis hin in den kleinste Gemeinde. Eigentlich hören wir schon gar nicht mehr zu, was uns die Medien täglich an Flüchtlingszahlen, Hiobsbotschaften und Durchhalteparolen verkünden. Was Angela Merkels „Wir schaffen das.“ mit der Sozialen Arbeit und dem sozialen Frieden zu tun haben, wollen wir hier aus unserer Sicht betrachten.

Vorab zum Verständnis: Wir sind weder rechts noch fremdenfeindlich und wir verurteilen diejenigen, die die Flüchtlingskrise für ihre politischen Ziele missbrauchen, fremdenfeindliche Parolen grölen, Flüchtlingsunterkünfte anzünden oder persönlichen Vorteile daraus schlagen, Trittbrettfahrer inbegriffen.

„Wir schaffen das.“ – Theorie und Praxis

Deutschland ist ein reiches Land, das Geld wird nur falsch verteilt. So sehen es wohl die meisten von uns. Deutschland ist ohne Zweifel in der Lage, die finanziellen Belastungen der Flüchtlingskrise zu tragen. Das wir uns allerdings fragen, woher die Mittel so schnell kommen, die vor der Massenflucht für Kindertagesstätten, Bildung, Sozialwesen, Kultur und Breitensport eben nicht verfügbar waren, steht auf einem anderen Blatt. Geld ist aber nur die eine Seite der Medaille.

Auf der anderen Seite sind die Bundesländer und Kommunen in der Pflicht, ausreichende Bedingungen für die Erstaufnahme, vorläufige Unterbringung und Integration von Flüchtlingen und Asylsuchenden zu schaffen. Dazu werden neben ganzen Immobilien und Wohnungen auch zusätzliche Fachkräfte wie Lehrer, Psychologen, Sozialarbeiter und ehrenamtliche Helfer gesucht, die sich intensiv in das Gelingen von Integrationsprozessen einbringen.

Inzwischen rücken neben der Unterbringungsfrage die Aufnahme und Integration von Kinder in Kindertagesstätten und Schulen, Deutschkurse, Berufsausbildung und Eingliederung in den Arbeitsmarkt weiter in den Mittelpunkt, nicht zu vergessen die sozialen Kontakte in der Gesellschaft.

Die öffentliche Wahrnehmung sieht allerdings anders aus: Flüchtlingskinder drängen in Kindergärten, die ohnehin schon aus allen Nähten platzen, und in Schulen, die schon seit Jahren unter Lehrermangel, teils Besorgnis erregenden Stundenausfällen und Qualitätsverlusten leiden. Junge Asylsuchende schnappen unseren Jugendlichen die Arbeitsplätze weg. Flüchtlinge vertreiben die Einheimischen von ihren Treffpunkten. Studierende sitzen in Hörsälen auf den Stufen, aber wir schaffen Gebetsräume für Ausländer.

Auch an das ehrenamtliche Engagement werden in der Flüchtlingskrise (zu) hohe Erwartungen gestellt. Die Bereitschaft ist hoch, hat aber auch Grenzen. Wir bilden Netzwerke und Arbeitskreise, akquirieren pensionierte Lehrer für Deutschkurse, bringen Kleiderkammern und Tafeln an ihre Belastungsgrenze oder gründen Patenschaften für die Alltagsbetreuung. Der Staat und Stiftungen legen Förderpreise und –programme mit dem Schwerpunkt Integration auf, und Kommunen eröffnen Spendenkonten für die Flüchtlingshilfe. Ist das alles noch gerecht? Oder andersrum: Warum funktioniert das nur in diesem Bereich mit dieser Vehemenz? Sind andere ehrenamtliche Bereiche, in denen sich Menschen für Menschen engagieren, etwa weniger wert?

Sozialer Frieden in Schieflage

Die Bewältigung der Flüchtlingskrise ist eine Mammutaufgabe, die neben gebetsmühlenartigen Willensbekenntnissen und besonderen (finanziellen) Leistungen geradezu nach Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit, Offenheit, Fingerspitzengefühl und sozialen Gleichklang schreit.

Was meinen wir mit „sozialem Gleichklang“? Der Staat hat die Fürsorgepflicht sowohl für die Flüchtlinge als auch für die eigene Bevölkerung. Auch wenn sich der Vergleich verbietet: Wir haben nicht nur Krieg in Syrien, sondern auch Armut, Gewalt, Analphabetismus und Pflegenotstand in Deutschland.

Einerseits stampfen Bundesländer, Landkreise und Städte umfangreiche Hilfsportale für Flüchtlinge, Ehrenamtliche und Helfer aus dem Boden, stellen Sozialarbeiter und Integrationshelfer ohne Ausschreibung ein, die finanziellen Mittel für die Instandsetzung von Wohnraum oder die Anschaffung von Fahrzeugen sind scheinbar grenzenlos, und Sporthallen werden für die Flüchtlingsunterbringung zweckentfremdet. Selbst das sonst so zähe Spendenrecht wurde eigens für die Flüchtlingshilfe geändert.

Andererseits können immer mehr Kommunen keinen ausgeglichenen Haushalt mehr aufstellen und sind gezwungen, drastische Einschnitte bei den „freiwilligen“ Leistungen vorzunehmen. In Theatern, Bibliotheken, Jugendklubs oder Schwimmbädern werden Eintrittspreise erhöht, Öffnungszeiten eingeschränkt oder ganz geschlossen, aber auch die finanzielle Förderung von Sozial-, Kultur-, Sport- und Jugendvereinen gesenkt oder gestrichen.

Wen wundert es da noch, dass der Unmut der Bevölkerung zunimmt? Wir verspüren Ignoranz, wenn es um unsere eigenen Sorgen geht, vermissen den frühzeitigen Dialog oder die konstruktive Auseinandersetzung vor Ort und haben Angst vor den radikalen Auswüchsen der Religionen.

Wenn sich die politischen Verantwortungsträger, egal ob auf Bundes- oder kommunaler Ebene, auch zukünftig nicht die Mühe machen (wenn es nicht schon zu spät ist), ausführlich und offensiv etwa über das Asylbewerberleistungsgesetz (z. B. finanzielle Unterstützung, gesundheitliche Versorgung, Versicherung), den Verlauf von Asylverfahren und fremde Kulturen aufzuklären, aber auch die Menschen in all diese Prozesse aktiv einzubeziehen, bewusst „mitzunehmen“ und deren Meinung zu respektieren, dann setzen wir den sozialen Frieden aufs Spiel.

Arbeitsmarkt und Flüchtlingskrise

Die Flüchtlingskrise wirkt sich auch auf den Bildungssektor und den Arbeitsmarkt teils drastisch aus. Interkulturelle Kompetenzen sowie Kenntnisse im Asyl- und Ausländerrecht zählen inzwischen zum Handwerkszeug für Erzieher, (Sozial)Pädagogen oder Sozialarbeiter. Deutsch als Fremdsprache oder Religion wird z. B. im Lehramtsstudium eine größere Rolle spielen. Schulpsychologen bearbeiten in ihrer Aus- und Weiterbildung zunehmend Themen wie Traumaverarbeitung.

Die Soziale Arbeit ist für die Integration von Flüchtlingen in Arbeit und Bildung, für die Bewältigung von Konflikten in der Gesellschaft oder für die Prävention rechtsextremer Gewalt ein ganz zentraler Bereich. Dabei ist nicht nur das soziale Arbeitsfeld an sich von immenser Bedeutung, sondern ermöglicht vielfältige berufliche Perspektiven. Der Markt ist durch die bundesweit hohen Bedarfe an Sozialarbeitern und Sozialpädagogen so gut wie leer, gut ausgebildeter Nachwuchs wird also händeringend gesucht.

Weiterbildungen im Bereich Flüchtlingshilfe

Hochschulen, Bildungsträger oder Ehrenamtsagenturen reagieren zunehmend auf den kurzfristigen Weiterbildungsbedarf zum Thema Flüchtlingshilfe. So können sich etwa Interessenten mit einer 12-monatigen dualen Weiterbildung zum Sozialberater für Migration und Flüchtlingshilfe (IHK) qualifizieren.

Für Mitarbeiter und Ehrenamtliche in der Flüchtlingsbetreuung finden Seminare zu brennenden Themen wie interkulturelle Kompetenzen, Deeskalation und Umgang mit Traumatisierten statt.

Die Fachhochschule Münster hat für Berufs- und Quereinsteiger eine modulare Weiterbildung „Neu in der Flüchtlingshilfe“ aufgelegt, die sich mit rechtlichen Rahmenbedingungen, der psychosozialen Versorgung von Flüchtlingen, interkulturellen Kompetenzen sowie dem „Dschungel der Helfersysteme“ auseinandersetzt.

Das ILS hat mit dem neuen sechsmonatigen Fernkurs Flüchtlings- und Integrationshelfer inzwischen auf die steigenden Weiterbildungsbedarfe reagiert.

 

FAZIT:SP_logo16_Fazit

Wir können, wenn wir wollen (allerdings nicht, wenn wir müssen)! Soll heißen: Je besser es gelingt, die Integration von Flüchtlingen auf möglichst viele überzeugte Schultern zu verteilen, umso größer ist die Aussicht auf nachhaltigen Erfolg.

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